„Investitionsschwelle wird bewusst weit oben angelegt“ - Experten-Talk zum Breitband-Ausbau auf der ANGA COM 2014


Gerät der Breitband-Ausbau in Deutschland ins Stocken? Die Lage scheint angespannt, denn wie unser Experten-Talk offenlegte, wird der Ausbau von verschiedenen Faktoren ausgebremst. Die Experten des Unternehmens IMS, das seine Finger am Puls des Breitband-Ausbaus hat, gab uns zur ANGA COM einen umfassenden Überblick zu den Problemen der Branche um die kleinen und mittelständigen Netzbetreiber. Ein Gespräch über den Breitband-Ausbau mit den IMS-Köpfen Michael Heinrichs (Geschäftsführer), Matthias Militzer (Projektvertrieb), Bernhard Affelt (Prokurist) und Jörg Laarmann (Senior Consultant).

Michael Heinrichs, Jörg Laarmann, Bernhard Affelt, Matthias Militzer

VDSL-Tarifvergleich.de: Geben Sie uns zu Beginn doch bitte einen kurzen Überblick darüber, was das Unternehmen IMS macht.

Michael Heinrichs: Wir sind ein reiner Softwarehersteller und stellen Programme zur Verfügung, mit dem die Planer den Breitbandausbau planen, die Ausbau-Unternehmen die Netze errichten und später dann die Netze auch betrieben werden können. Das sind die Tools, die wir zur Verfügung stellen. Viele unserer Partner bauen selbst Netze, sind also beispielsweise Stadtwerke, Planungsbüros und ähnliche Unternehmen. Wir haben damit einen relativ guten Überblick auf das Geschäft, weil alle, die irgendwo an der Glasfaser-Nahrungskette hängen, mit uns zu tun haben.

VDSL-Tarifvergleich.de: Wie sehen Sie den Breitbandausbau in Deutschland insgesamt?

Jörg Laarmann: Dadurch, dass die Telekom ihre vorhandene Technik nachrüstet, werden im Breitbandausbau derzeit die Investitionen gestoppt. Das liegt daran, dass die Tiefbaukosten, die die Telekom jetzt nicht mehr hat, nun von anderen übernommen werden müssen. Dadurch wird der Breitbandausbau nicht mehr ganz so vorrangig betrieben, wie man sich das wünschen würde.


Matthias Militzer: Ich glaube, vor allem in den ländlichen Gebieten gibt es noch unheimliche viele weiße Flecken, die natürlich auch zu Initiativen führen müssten. Dort ist die Bereitschaft zu investieren, seitens der Betreiber, relativ gering. Es gab beispielsweise schon Aktionen, in denen gemeinsam mit Windkraftanlagen Kabel verlegt wurden. Aber da sind auch schon wieder einige Firmen den Bach runtergegangen, weil die Windkraftanlagen-Förderung in Deutschland zurückgeschraubt wurde. Da gibt es also viel zu tun - aber es muss natürlich erst einmal investiert werden. Wenn Investoren gefunden sind, und das sind meist Tochterunternehmen von Stadtwerken, sind wir natürlich gern bereit, den Stadtwerken Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, damit die Planungen problemlos durchgeführt werden können.


VDSL-Tarifvergleich.de: Wenn wir vom Ausbau von Fibre-to-the-Home sprechen, gestaltet sich der Ausbau mit Sicherheit noch komplexer.

Bernhard Affelt: Ich würde sagen, das Verlegen von Glasfaser direkt in das Haus (FTTH) läuft noch schleppender, weil der Kostenfaktor da sehr hoch ist. Ich selbst bin da auch Betroffener, ich wohne sehr ländlich und da wird wahrscheinlich nie ein LWL-Kabel hinverlegt werden. Es wird von den Netzbetreibern einfach ein LTE-Knoten aufgebaut, an dem man sich mit einem entsprechenden Vertrag einloggen kann. So hat man dann auch „Bandbreite“ - aber nicht zu den Kosten, die man gern hätte, denn Bandbreite und Volumen sind dann meist begrenzt. Wenn ich generell an meine Kunden denke, ist der FTTx-Ausbau direkt ins Haus hinein eher zurückgestellt worden.


VDSL-Tarifvergleich.de: Was hat das für Gründe, abgesehen von den Kosten?

Bernhard Affelt: Neben den Kosten ist ein zweiter Grund, dass es in dem Bereich auch Mitbewerber gibt, die ihre Technik ausbauen und zu geringen Kosten mehr Bandbreite bieten können. Da hinterfragen natürlich diejenigen, die für umfangreiche Netze Geld ausgeben, ihre Pläne - auch wenn sie wahrscheinlich in fünf Jahren damit im Vorteil wären. Letztendlich sind es doch immer die Kosten, auf die es zurückfällt.


Michael Heinrichs: Das ist das klassische Vorgehen von großen Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung. Wenn so ein Unternehmen die Investitionslatte hoch anlegt, dann kommen die kleinen Unternehmen, für die es im Grunde genommen interessante wäre, einfach nicht mehr mit. Die Investitionsschwelle wird im Moment bewusst relativ weit oben angelegt, mit alternativen Technologien…


Bernhard Affelt: …die von den Kosten her auch wesentlich geringer sind.


Michael Heinrichs: Ja sicherlich, aber das ist ein selbstgelegtes Ei. Das ist reiner Markt-Protektionismus, was da geschieht - und das behindert den Ausbau definitiv. Dies war auch auf der ANGA COM in diesem Jahr spürbar: Der Aufbruchs-Enthusiasmus, der einmal da war, der ist durch die Teergrube gefahren. Aber so richtig.

Matthias Militzer: Es gibt sehr viele Stadtwerke, die Tochterunternehmen ausgründen. Da geht es auch um Fördergelder. Mit ihrer Bürgernähe, die sie auch über Bürgerversammlungen erreichen, haben sie ein klares Bild von den Bedürfnissen - und zudem auch das Vertrauen der Bürger, im Ausbau tätig zu werden, denn sie sind ja schon als Stadtwerke bekannt. Im Genehmigungsprozess für die Fördergelder muss erst einmal klar gemacht werden, ob nicht ein lokaler und großer Provider den Ausbau auch ohne Fördergelder stemmen könnte. Damit wird letztendlich ein Projekt, das schon komplett geplant war und mit dem Vertrauen der Bevölkerung quasi schon fast umgesetzt ist, komplett beerdigt - denn der große Provider sagt dann ,Natürlich kann ich das ohne Fördergelder’. Durch die Anfrage bezüglich der Fördergelder ist er aber überhaupt erst darüber informiert worden, dass es ein solches Projekt gibt. Dadurch entstehen dann wiederum Verzögerungen, weil große Unternehmen den Kostenfaktor sehen und ländlichen Gebieten keine Priorität zuschreiben. So wird letztendlich der Mittelstand ausgebremst, weil ein Global Player das Sagen hat. Das sind letztendlich alles Maßnahmen, die das Verschwinden der weißen Flecken verhindern. Auf der einem Seite habe wir die politische Aussage nach dem Motto "Jeder bekommt VDSL, am besten in der nächsten Woche!" - auf der anderen Seite behindern solche Vorgaben dann den Ausbau.


VDSL-Tarifvergleich.de: Wenn wir grad beim Thema Politik sind: Wie realistisch schätzen Sie die Ziele von Minister Dobrindt und seiner Netzallianz ein, bis 2018 flächendeckend 50 Mbit/s anzubieten?

Matthias Militzer: Das Thema ist natürlich hochgradig brisant. Es wird immer wieder angefasst - und es ist auch gut, dass die Politik das Thema immer wieder aufnimmt. Die Frage ist: Werden die Unternehmen dabei wirklich unterstützt - und auch in der Fläche? Sie können das nicht alles von den großen Unternehmen machen lassen. Diese Initiative muss darin begründet sein und auch darin münden, kleineren Unternehmen eine Chance zu geben - denn das sind ja keine Newcomer. Die Stadtwerke wissen ja, was sie tun. Wenn man die beim Ausbau unterstützen würde, wäre eine Initiative der großen Politik letztendlich auch sinnvoll. Wenn es darin endet, dass es doch wieder nur ein Aufruf an die Großen ist, noch fleißiger zu sein, dann wird der Prozess wahrscheinlich wieder nur stockend ablaufen - und nur dort, wo das Geld und die Ballungsgebiete sind, aber das ist ja nicht das Ziel. Es ist ja so, dass es heute Neubaugebiete - auch abseits des Gewerbes - an Wert verlieren, wenn sie keinen VDSL-Anschluss bekommen. Das sind ökonomische Bedürfnisse, die erfüllt werden müssen. Außerdem gibt es in den Wohngebieten mittlerweile Mitarbeiter, die im Home Office arbeiten oder Ärzte, die mit Fernanwendungen mittlerweile sehr schnell in Krankenhäusern tätig werden können, ohne lange Fahrtwege zu haben. All das muss miteinander korrelieren. Da kann ich nicht auf der einen Seite eine Initiative starten, um dann den Mittelstand, die kleinen Unternehmen und die Stadtwerke mit dieser Initiative nicht zu fördern. Wenn die Förderung an diesen Stellen ankommen würde, ist alles gut. Dann macht diese Initiative auch Sinn - denn dann hat sich echt was geändert. Wenn nur die Großen gefördert werden, tut sich jedoch gar nichts.


Jörg Laarmann: Man sieht es im Kleinen und auch bei unserem Kunden: Wo Neubaugebiete entstehen und die Ersterschließung beispielsweise von den Stadtwerken erfolgt, dann sagen die großen Unternehmen gleich „wir gehen da gar nicht mehr dran“. Es geht einfach um die Tiefbaukosten, und wenn bereits Strukturen geschaffen sind, gibt dort kein Zweiter mehr Geld aus, weil die Kosten einfach zu hoch sind.

VDSL-Tarifvergleich.de: Gibt es genügend Know-how für den Glasfaser-Ausbau in Deutschland?

Michael Heinrichs: Ja, auf jeden Fall. Vor allem das lokale Know-how, das würde ich fördern.


Matthias Militzer: Grade die Stadtwerke, die haben ein enormes Know-how. Die bauen schon seit vielen Jahren LWL-Netze, die haben die besten Erfahrungen.


Michael Heinrichs: Es geht ja auch später um den Betrieb, den Service und die Ansprechbarkeit des Netzbetreibers. Natürlich können Sie das von großen Konzernen machen lassen, aber die sind nach dem Ausbau wieder weg.

VDSL-Tarifvergleich.de: FTTH und FTTB wird immer weiter auf die lange Bank geschoben. Wird es Deutschland früher oder später einholen, dass der Ausbau nicht sofort auf hohe Bandbreiten ausgerichtet ist?

Matthias Militzer: Es würden ja zunächst 12 Mbit/s reichen, weil das genügend ist, um Multimedia-Inhalte über eine Leitung zu bringen. Das wird bereits für Telefon, Internet und Fernsehen angeboten und reicht aus. In kommunikativen Firmen und anderen Bereichen darf es natürlich etwas mehr sein - aber es muss ja nicht immer gleich VDSL sein.


VDSL-Tarifvergleich.de: Aber die Entwicklung der benötigen Bandbreiten entwickelt sich ja nicht linear, sondern eher exponentiell...

Matthias Militzer: Wenn man die Glasfaserkabel bis zur nächsten Ortsvermittlungsstelle verlegen kann, dann sollte man natürlich auch nicht weniger machen. Aber häufig reicht es auch für den ländlichen Bereich, erst einmal mit geringeren Bandbreiten zu arbeiten.


Michael Heinrichs: Aber das wird uns in fünf bis sechs Jahren einholen. Auch wenn es der große Blick in die Glaskugel ist: In fünf, sechs Jahren haben wir wahrscheinlich 90 Prozent des Internetverkehrs als Streaming. Jetzt habe ich gerade gelesen, Netflix kommt nach Deutschland. Na guten Tag! Hoffentlich machen die Amazon Instant Prime, Maxdome und wie sie alle heißen nochmal richtig die Hölle heiß. Aber in ein paar Jahren werden diese Bewegtbildinhalte die Leitungen komplett verstopfen - und da wirst du mit deinen 12 Mbit/s auch nicht mehr glücklich. Vielleicht dauert es auch ein paar Jahre länger - aber wenn wir das verschlafen, dann wird das ein echtes Problem.


VDSL-Tarifvergleich.de: Ihr Unternehmen stellt zur ANGA COM 2014 die erste Cloud-basierte Lösung für Planung und Betrieb von Glasfaser-Netzen vor. Was ist der Vorteil dieser Lösung?

Jörg Laarmann: Der Vorteil am neuen System ist vor allem die Kostenersparnis. Wenn jemand eine Lösung benötigt, kann er für 60 Prozent der bisherigen Kosten sofort loslegen und hat die Sicherheit, dass ein funktionierendes System dahinter steht. Darauf kann standortunabhängig von überall auf der Welt zugegriffen werden, um das Tagesgeschäft abzuwickeln.

Michael Heinrichs: Das Cloud-Thema ist ja in vielen Bereichen eigentlich vollkommen angekommen. Jeder hat sein Smartphone, jeder hat Cloud-Anwendungen und nutzt sie. Unternehmenslösungen gibt es auch bereits viele, aber in dem Umfeld, wo wir über FTTx-Planung sprechen, haben wir GIS-Komponenten dahinter. Was das Laufzeitverhalten angeht, ist die Lösung da um einiges komplizierter. Wir haben unglaublich viel CPU-Last, die darauf läuft. Klassische Cloud-Lösungen, die sie im Rechenzentrum um die Ecke finden, funktionieren da nicht mehr. Sie haben sehr hohe Lizenz- und Investitionskosten dahinter - aber auf der Messe hier haben wir sehr gutes Feedback von kleineren und mittleren Planungsbüros, die sich so eine Software im Regelfall gar nicht leisten können. Jetzt sagt man halt „benutzen statt besitzen“, was die Cloud ja ausmacht. Obwohl die leidige Diskussion um die Datensicherheit in den letzten Monaten nicht besser geworden ist - das ist dann etwas, wo wir von unseren Endkunden, den Stadtwerken beispielsweise, immer wieder hören „Meine Daten? In der Cloud? Auf keinen Fall!“. Da führt derzeit kein Weg rein, das ist dann eben so, das muss man auch akzeptieren. Deshalb: Vielen Dank, liebe NSA, für das Durchkreuzen eines eigentlich echt schönen Geschäftsmodells.


VDSL-Tarifvergleich.de: Vielen Dank für das interessante Gespräch.


Weiterführende Informationen

» mehr Informationen zu Glasfaser
» weitere Glasfaseranbieter
» VDSL Anbieter in der Übersicht

» Interview mit AVM zur IFA 2018
» Interview mit Dirk Hafenrichter (Dt. Telekom) auf der IFA 2013


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